Ian McEwan: Die Kakerlake

„…jede Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Kakerlaken wäre rein zufällig.“ Wer Ironie knapp an der Grenze zu Sarkasmus mag sollte jetzt weiterlesen. Man merkt im Lauf der nächsten 121 Seiten: Lachen kann so befreiend sein. Lachen sprengt den engen Gürtel, der sich angesichts sehr ernüchternden, um nicht zu sagen: unglaublichen Nachrichten aus Deutschland, aus aller Welt um den Brustkorb legt. Und einem damit den Atem nimmt. Oder die Lust, überhaupt noch an der Welt und ihren Nachrichten teilzunehmen.

Wahrscheinlich ist die beste Lösung Ironie, überspitztes Darstellen der Realität, vielleicht auch ein bisschen ins Fantastische Hineinschubsen. Und einfach mal alles auf den Kopf stellen und schauen, was dabei herauskommt. Ein wunderbares Buch – vom Meister der feinen Feder  Ian McEwan geschrieben. Der Autor scheut sich nicht davor, heiße Eisen anzufassen, um seine verbrühten Finger auf die heilende Tastatur zu setzen. Künstliche Intelligenz und vermenschlichte Roboter, Kindeswohl wider starre Regeln einer Gemeinschaft, Embryos im Mutterleib, die zu Zeugen werden. Und nun eben der Brexit.

Sein neuestes Buch ist eine Hommage an Kafka und dessen zum Käfer gewordener Mensch. Man weiß wie „Die Verwandlung“ ausgeht. Nicht gut für Gregor Samsa. Schließlich blüht ihm das Schicksal jeden Ungeziefers, das erwischt wird. Anders bei Ian McEwan. Der dreht den Spieß um, lässt in der Nummer 10 der Downing Street ein Lebewesen erwachen, das bald darauf seine Facettenaugen vermisst und mit Ekel feststellt, dass „sein verletztliches Fleisch in einer grotesken Umkehrung außen am Skelett lag“. Die Kakerlake wird zum Mensch. Aber nicht zu irgendeinem: zum Premierminister Jim Sams. Wenn schon, denn schon. Seinen „glitschigen Fleischlappen“ im Mund weiß er bald recht gut zu gebrauchen und stellt bei der ersten Kabinettssitzung fest: Er ist nicht der einzige – seine Kakerlaken-Kollegen haben ebenfalls die Macht beziehungsweise die Körper von Politikern ergriffen. Und so marschieren die Lebewesen, die so oder so noch da sein werden, wenn die Welt denn vor dem Klimawandel in die Knie geht, an die Macht. Zerstörerisch, unbeugsam, raffiniert. Es gilt, die „Vordreher“ aus dem Weg zu schaffen, um die Uhren anzuhalten beziehungsweise zurückzudrehen. Ähnlichkeiten mit realen Situationen? Rein zufällig natürlich.

Reversalismus nennen die Kakerlaken ihre Strategie der Umkehrung. Wer Arbeit hat muss dafür bezahlen, dafür bekommt man beim Shoppen Geld in Hülle und Fülle in die Taschen gekippt. Behalten ist strafbar. Der umgekehrte Geldfluss. Da müssen die anderen Länder natürlich mitziehen. Dass Mr. President nicht einmal das Wort richtig aussprechen kann – ein feiner Seitenhieb. Und dass er es gut findet, die „Dinge aufzumischen“ und „der EU auf die Nerven“ zu gehen, unverwechselbar. Den amerikanischen Präsidenten Tupper hat die Kakerlake aus England also mit ein bisschen „Klempner- und Wettermetaphern“ á la sturzbachartige Denkmuster wegspülen schnell überzeugt. Die Kabinettssitzung „auf Pheromon“ geht zehnmal schneller als eine normale. Dann ist das Werk getan, die Kakerlaken als „Geschöpfe, die das Licht scheuen“ verlassen die Körper und gehen wieder in den Untergrund. Tragisch, dass der Chancellor oft he Duchy of Lancaster auf dem Weg dorthin von einem Müllwagen überfahren wird. Andererseits aber die Aussicht auf ein Festmahl. Also das Herausgequollene sorgsam auf den Unterleib gelegt und Abmarsch in Richtung Festmahl. Meisterhafter, fulminanter Schluss eines großen Lesevergnügens. Das aber nur eines ist, wenn man den britischen (schwarzen) Humor mag.

 

Ian McEwan: Die Kakerlake – im Diogenes Verlag erschienen, ISBN 978-3-257.07132.0, 19 Euro.

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