Die Schönheit der Linie

Ich höre sie schon, die Kommentare: „Das kann doch jeder“ – „Das ist Kunst?“ Aber solche Leute können mit Kunst wie der von Gerhard Sonns eh nichts anfangen. Klar sieht man – objektiv betrachtet – erst mal nur ein schwarzes Wollknäuel aus Linien. Oder etwas, das aussieht wie Altpapier, das man am Rand der Straße zur Abholung bereitgestellt hat und das erst durchgeregnet wurde und später wieder zu einem Klumpen getrocknet ist.

Mir jedenfalls gefallen immer besser Kunst-Stücke, die reduziert sind, die einem Ruhe vermitteln und damit auch die Lust, etwas länger als ein paar (Schreck-)Sekunden lang zu betrachten. Und genau so ist es mit den Wollknäueln. Da fragt man sich doch einfach nur, was steckt da drin?

Dann die Betonobjekte und vor allem eines – mein absoluter Liebling: eine Kugel aus Sandstein. Sieht auf den ersten Blick wie Beton aus, ist es nicht. Die perfekte Kugel lässt erahnen, dass da einer ganz schön dran „g´schafft“ hat. Kratzspuren zieren die Oberfläche, in der Mitte frisst sich ein gleichförmiger Graben rundherum. Einfach schön. Ästhetisch. Punkt. Nichts mehr hinzuzufügen.

Und: Hat jemand mal gesehen, dass einer ein Porträt malt und der Kopf nur von hinten zu sehen ist? Das heißt, man kann auch das nur ahnen, was Gerhard Sonns mit Ölkreide zu Papier gebracht hat. Es sind die Umrisse eines Kopfes und in dem raucht es auch zunehmend, wenn man die Serie abschreitet. Seine Witwe ist fest davon überzeugt, dass das ein Selbstporträt sein soll. Offenbar aber war der von ihr bewunderte Ehemann auch für sie selbst – zumindest als Künstler – ein Rätsel. Er selbst hat sich nie als einen solchen bezeichnet. Tja, da fällt mir nur ein Spruch meines Opas ein: Wer angibt hat´s nötig. Und Gerhard Sonns – übrigens 1939 in Pforzheim geboren und bis zu seinem Tod im Jahr 2016 in Neuenbürg lebend – hat es offenbar nicht nötig gehabt. Ein Mann großer Worte war er wohl nicht. Er hat sich lieber seiner Kunst gewidmet.

Ich finde: eine absolut sehenswerte, von der Kunsthistorikerin Regina M. Fischer (in Kooperation mit der Witwe Inge Sonns) kuratierte Ausstellung ist das, die bis zum 5. April 2020 im Schloss Neuenbürg zu sehen ist. Da schlägt das Herz jedes Kunstinteressierten höher. Meines jedenfalls hat das getan.

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