Nicht immer findet ein Landei ein Korn

Nazi oder Mensch?

Oder beides? Das ist hier die Frage. Die Frage, der Juli Zeh in ihrem neuen Buch nachgeht.

Das kann sie eigentlich besser, die liebe Juli Zeh. Eine meiner Lieblingsautorinnen. Aber das nur nebenbei. Als Fan (By the way: Gibt es eigentlich auch Faninnnen? Ich bleibe aber gern auch ein stinknormaler Fan und bin trotzdem eine Frau beziehungsweise einfach ein Mensch, der gern liest.) habe ich mich im Mai 2021 natürlich sofort auf die Neuerscheinung „Über Menschen“ gestürzt. Und mir ist auch klar, dass Juli Zeh, die wie ihre Protagonistin Dora aufs brandenburgische Land gezogen ist ihren Wechsel von der Großstadt Leipzig auch irgendwie verarbeiten muss, will, soll, darf. Gerne darf. Und zwar auf die Art, mit der sie das am besten kann: mit Schreiben. Bereits in „Unter Leuten“ hat sie das getan. Und zwar mit einer feinen, spannend zu lesenden Gesellschaftsstudie, in der sich nicht nur die Windräder turbulent drehen. Denn auch auf dem Land ist die Welt natürlich nicht nur in Ordnung, auch wenn dort die Schwalben tief fliegen und die Lerchen jubilierend in den Himmel aufsteigen. (Und dabei hoffentlich keine Begegnung mit den Rotorblättern der Windräder haben.)

Der Anfang ist vielversprechend

Auch „Über Menschen“ fängt vielversprechend an. Juli Zeh schildert die Flucht von Dora vor ihrem übereifrigen, sich an der Pandemie-Katastrophe labenden und zum Weltverbesserer mutierenden Lebensgefährten Robert, vor ihrem stressigen und ebenfalls unter der Fahne des Gutmenschen-Tums stehenden Jobs in einer Werbeagentur. Sie findet sich wieder auf dem brandenburgischen Land, schwitzend den Boden hinter ihrem Haus umgrabend, mit Schwielen an den Händen.

Welch ein Zufall, dass ausgerechnet im Haus nebenan ein Mann wohnt, der alle „rechten“ Klischees erfüllt. Gote genannt. Auch das noch. Dora hört das Wessel-Lied, das drüben bei den Nachbarn in trauter Runde am Feuer gesungen wird. Da stellen sich die ersten Nackenhaare auf. Und welch ein Wunder: Sie muss entdecken, dass der erste Eindruck manchmal doch täuschen kann. Dass hinter der üppigen, muskelbepackten Fassade des Glatzkopfes Gote doch ein Mensch steckt. Nicht alles  ist wie es scheint, das ist die Lektion, die Dora lernt. Sie freundet sich mit Gote und dessen Tochter an. Und dann kommt der dramatische Schlussakkord mit Trommelfeuer. Es stellt sich heraus, dass Gote todkrank ist…. Dick aufgetragen, aber irgendwas außer Steakbraten am Lagerfeuer muss ja noch passieren.

Kein Kitsch – nur klischee-beladen

Es wäre unverschämt, einen Roman von Juli Zeh mit Kitschliteratur-Kommentaren zu versehen. Im seichten  Wasser eines solchen Druckwerks würde man wohl vergeblich Wortwitz suchen wie diesen: Dora stellt sich bei ihrem neuen Nachbarn vor mit „Dora. Wie Dorf-Randlage.“ Nett. Oder die Schilderung ihres zum Moralapostel mutierenden Robert, der unter jede E-Mail, unter jede SMS die Formel „Bleib gesund!“ setzt – „… wie die Parole eines Geheimbunds, der zur Massenbewegung wurde.“

Lesenswerte Überspitzung der Lage

Es ist fein und teils fein ironisch beschrieben, wie Dora sich einerseits daran reibt, dass es in den Nachrichten nur noch um Corona geht, „…Als wären der Krieg in Syrien, das Leid von Flüchtlingen… niemals reale Probleme gewesen. Nur Infotainment, ein Zeitvertreib für gelangweilte Medienkonsumenten.“ Und wie sich Dora andererseits dafür schämt, die neuesten Infektionszahlen nicht zu kennen.

Meiner Meinung nach der beste Teil des Buches. Okay, das mag auch noch durchgehen, wie sich Dora auf dem Land einrichtet, wie ihr der Agentur-Job entgleitet, was sie denkt und fühlt. Und dass sie dort anderen Menschen begegnet, die in einer Art Paralleluniversum leben. Okay. Aber alles, was danach kommt ist einfach nur noch kitschig und klischee-beladen. Leider. Mal schauen, was das nächste Buch bringt.

Juli Zeh: Über Menschen. Roman. Luchterhand. 22 Euro. ISBN 978-3-630-87667-2.

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