Wo bleibt Tarzan?

„Affenzirkus“ oder „das Drama mit dem Primaten“

Ja, was denn nun? Affe oder Primat? Und wo bleibt eigentlich der starke Tarzan, Retter aller Lebewesen? Mal davon abgesehen, dass Tarzan sich im Dschungel verrirt hat – die erste Frage ist im Fall von Sam schnell beantwortet: Er ist ein Schimpanse und somit ein Primat. Also einer mit einem größeren Gehirn als ein Affe. Auch die Menschen zählen zu den Primaten. Wieso kann Sam dann nicht Auto fahren? Oder uns einen Brief schreiben? Im neuen Buch von T.C. Boyle „Sprich mit mir“ geht es vielleicht nicht genau um diese Fragen, aber sehr wohl doch erneut darum, wie und was Tiere fühlen, denken, wahrnehmen.

Um es vorweg zu nehmen: Auch ein begnadeter Schriftsteller wie T.C. Boyle kann dem Afffen, sorry, dem Primaten nicht ins Hirn schauen. Es liegt aber die begründete Vermutung nahe, dass er mit seinem nach jedem Kapitel wechselnden Perspektivenwechsel bei der Schilderung von Sams Empfindungen nicht so verkehrt liegt. Und diese Empfindungen gleichen allein schon deshalb, weil „Ober-Primat Mensch“ sie diktiert, einer Achterbahnfahrt. Der Schimpanse wächst nicht im Dschungel auf, sondern in einer Forschungsgruppe und lernt nicht etwa, einen essbaren von einem nicht-essbaren Käfer zu unterscheiden, sondern: Coca-Cola und sogar Wein zu trinken, eine Pizza in den Mund zu stopfen und wie man sich die Pizza mit Gebärdensprache bei den ihn umgebenden Menschen bestellt.

Niedlich? Hm. Der Primat macht sich zum Affen, aber was bleibt ihm anderes übrig. Und er ist letztlich ein Wirtschaftsfaktor. Das kann auch die Studentin Aimee nicht verhindern, die durch Zufall dazu stößt. Es ist Liebe auf den ersten Blick: Sam und Aimee, Aimee und Sam. Die heile Pizza-Coca-Cola-Gebärdensprache-Welt kann so heil natürlich nicht bleiben. Sonst wäre es kein Roman. Ob es nun der goldene Käfig eines Hauses ist (das Sam nur an der Leine und nur für geraume Zeit verlassen darf) oder eine Forschungsstation mit kalten Gitterstäben: Käfig bleibt Käfig. Gefangener bleibt Gefangener. Sam ist es nur ein paar Jahre seines Lebens gegönnt, so etwas wie Glück zu empfinden.

Eigentlich sollte man ja meinen, dass man abgehärtet ist. Blut spritzt aus einer Halsschlagader? Ein Immobilienhai wird im Beton versenkt? Kann passieren. Sollte es natürlich nicht. Allein: Horrorfilme, verfilmte und geschriebene Thriller gehören ja quasi zur „normalen“ Unterhaltung. Aber Szenen mit Kindern, die leiden. Situationen, in denen Tiere in ihrer natürlichen Umgebung oder auch dem Menschen vertrauende benutzt, gefoltert, und ja, in Sams Fall, auch seelisch misshandelt werden: Das ist schon harter Tobak. Finde ich. Es ist so gesehen eigentlich eine Qual, Sams Weg mitzugehen in T.C. Boyles Buch „Sprich mit mir“. Das lenkt schon fast vom eigentlichen Thema ab: Wie nah können sich Mensch und Schimpanse kommen? Wie stark kann der Austausch, das gegenseitige Verstehen sein? Sam versteht sehr gut: Der Boss ist der macht- und geldgierige Ober-Primat Mensch.

T.C. Boyle: Sprich mit mir. Roman Hanser. ISBN 978-3-446-26915-6 / #ohnefolie. 25 Euro.

 

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