Eiszeit

Das vermag auch die jeden Tag kräftiger werdende Sonne nicht: den Eis-Panzer Corona zum Schmelzen zu bringen. Es fühlt sich zumindest so an, als ob alles und jeder unter einer eisigen Schicht festgefroren ist.

Bestehendes schmilzt wie Eis in der Sonne

Ecken brechen weg, die Sonne verrichtet ihr schmelzendes Werk. Das kann man auch auf den Job bezogen sehen beziehungsweise auf die Selbständigkeit. Mit dem Bild des Eisblocks kann man in jeder Hinsicht arbeiten. Auch bei der Arbeit herrschen eisige Zeiten. Jeder versucht, zu retten, was zu retten ist. Und das ist – ohne jetzt ständig in ein selbstmitleidiges Heulen und Zähneklappern ausbrechen zu wollen – immer und überall die eigene Haut. Klar, muss sein. Aber ist das alles? Als Festangestellter?  Der viel beschworene Blick über den Tellerrand? Fehlanzeige. In der Not schweißt man zusammen? Fehlanzeige.

Kann es mir egal sein, als aufdringlich zu gelten?

Freie Mitarbeiter, so empfinde ich es, werden eher als aufdringlich und störend empfunden, wenn sie vor der Tür lauern, um Aufträge zu ergattern. Gar nicht gut, ständig auf der Matte zu stehen (im übertragenen Sinn).  Oder offen über die eigene Misere und das ständig über dem Kopf schwebende Damoklesschwert der Insolvenz hinzuweisen: gar nicht gut. Wer will das wissen? Es gibt schon die Möglichkeit, eigene Vorschläge noch zu platzieren. Hin und wieder. Und hin und wieder rennt man auch offene Türen ein. Klar, mir geht es noch vergleichsweise gut. Andere verschwinden in der Versenkung. Aber ich lebe auch davon und bestreite meinen Lebensunterhalt als so genannte Soloselbständige davon.

Es freut einen, dass zumindest jeder gut überlegte Vorschlag angenommen wird. Doch ein Zeichen von Solidarität? Ansonsten gilt und das immer mehr in den Redaktionen: selbst machen, sparen, möglichst wenig nach außen geben – das ist schon länger die Devise. Und in Corona-Zeiten, in denen es eben nun mal keine offiziellen Termine gibt und die wenigen Seiten mit eigenen Beiträgen gefüllt werden sollen, in Corona-Zeiten mit zurückgehendem Anzeigenaufkommen noch mehr denn je. Wenn man die Hintergründe versteht, dann hilft schon. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Und es ist ja schließlich keine persönliche Antipathie. Ändert allerdings nichts an der Lage.

Die Angst ist überall

Wobei ich sie auch jeden Tag spüre, überall, allgegenwärtig: die Angst, die Unsicherheit, die Frage „Wie geht es weiter?“ Jeder kämpft ums Überleben. Schön, wenn es in Ansätzen noch ein Stück Normalität gibt. Denn es gibt sie allerdings, die Ausnahmen mit „sozialem Touch“. Die fallen umso mehr auf. Kreative wie Künstler, kleine Verlage helfen sich gegenseitig mit kleinen Diensten und indem man Werbung füreinander auf den sozialen Medien macht. Und es gibt auch Festanstellte, die zu einem Perspektivenwechsel fähig sind. Von denen bekommt man als Freeelancer sogar zeitnah eine Antwort auf die Frage „Soll ich über das Thema schreiben?“, dann ein Mut machendes und auf die Situation bezogenes „Du schaffst das schon, du bist ja kreativ“. Auch wenn das jetzt nicht unbedingt einen Auftrag nach sich zieht – dieses Zeichen menschlicher Regung tut einfach gut. Wer etwas anderes behauptet ist meiner Meinung nach aus Stein.

Man merkt natürlich von Tag zu Tag mehr, dass Corona aushöhlt. Die Begleitumstände. Nicht das Virus, das man bei aller gebotenen Vorsicht bekommt oder im Idealfall nicht. Soforthilfe beantragen, eventuell Wohngeld, den Steuerberater kontaktieren, damit das Finanzamt nicht den letzten Euro einzieht, eventuell einen Kredit beantragen. Das sind die Dinge, die anstrengen, die Angst machen. Aber die anstehenden Dinge Schritt für Schritt abzuarbeiten ist immer noch besser als den Mond anzuheulen, sich in Selbstmitleid zu verlieren. So blauäugig sehen wie manch andere kann ich das trotzdem nicht: Das Thema wird so schnell nicht erledigt sein.

Dem Ganzen etwas Positives abgewinnen?

Wenn es nicht so existenzbedrohend wäre könnte man das ja jetzt direkt schon positiv sehen: Ich überlege mir, was ich tatsächlich brauche, wie ich mich an vorhandenen Dingen erfreuen kann. Welche neuen Wege ich gehen werde. Und man merkt auch, welche Menschen tatsächlich zu einem halten, mit wem man – natürlich nur in Gedanken – Schulter an Schulter durch diese Zeit gehen kann. Beruflich. Privat. Was mich persönlich unglaublich traurig macht ist die Tatsache, dass eine gute, betagte Freundin mit einem gewissen Hang zu Fatalismus meine Ankündigung, sich jetzt besser mal nicht gemeinsam zum Essen an einen Tisch zu setzen, absolut nicht verstehen will. Das Angebot zum Spaziergang wird brüsk abgelehnt. Das tut weh. Und für Kindereien und dickköpfiges Trotzverhalten habe ich jetzt eigentlich keine Nerven. Da muss man Zeit lassen.

Schockiert bin ich allerdings über das Verhalten in meinem Wohnblock. Ganz nach dem Motto „Familien kann ja nichts passieren“ werden Türen für Oma und Opa geöffnet, die Familien klüngeln zusammen und haben eine gute Zeit. Da kann man drauf warten, bis das Virus zuschlägt. Der Mensch ist ein Gewohnheitstier, auch oder gerade in Corona-Zeiten.

Auch ich bin ein Rudeltier?

Was mich persönlich über diese Zeit rettet (die 100-prozentig ein „normales“ Leben in diesem Jahr nicht mehr mit sich bringen wird – wir können schon froh sein, wenn wir im Kreis der Lieben Weihnachten feiern dürfen): dass ein mitfühlender Kollege mich ans Gesundheitsamt vermittelt hat, wo ich seit ein paar Tagen täglich in der Hotline mit Menschen spreche, die Fragen zu Corona habe. Je öfter ich Menschen beruhige, desto ruhiger werde ich selbst. Das Team ist unglaublich nett. Unsere betreuende Ärztin ein Sonnenschein. Ja, man darf auch noch lachen.

Ich lerne viel. Ich fühle mich in der Gemeinschaft wohl und entkomme so der Isolation (das alleine Arbeiten für Medien ist bis auf die Interviews ja auch ein Job á la „lonesome wolfe“), werde gebraucht. Wenn man auch manchmal uneinsichtige, egozentrische und offenbar ihren Stress abladende Menschen am Ohr hat. Aber die sind die Ausnahme. Oft reicht es schon, freundlich zu bleiben. Auf jeden Fall entwickle ich meine Fähigkeit der Empathie weiter, das „Über-den-Tellerrand-schauen“. Auch diese Chance bietet Corona.

Wir leiden. Alle.

Hey – ich habe einen Sechser im Lotto! Beziehungsweise im Klopapier-Roulette gewonnen! Kleiner Tipp: einfach die Ortschaften abfahren, dann möglichst in gebückter Haltung dem Supermarktmitarbeiter nähern und unterwürfig nach dem gewünschten Produkt fragen… der zieht dann mit etwas Glück hinter aus einem Versteck ein Paket. Wie Hehlerware. Nach Wochen des vergeblichen Suchens endlich ein Erfolg. Ich dachte eigentlich, die Leute müssten jetzt so um die 50000 Rollen gebunkert haben. Fehlanzeige. Ist nach wie vor – wie der Kabarettist Pufpaff kürzlich meinte – das Gold der Pandemie. Und Tschüß – ich muss dann mal…

Die Frage ist allerdings auch für eifrig recherchierende Journalisten nicht zu beantworten: Essen die Leute das? Wickeln die sich ein? Um sich so vor Corona zu schützen? Oder kuscheln die damit, weil sie sich nicht mehr an den Partner rantrauen? Es wird wohl ein Geheimnis bleiben…

(Demnächst schaue ich mal wieder in die Vergangenheit und setze meine Serie „Wie alles begann“ fort. Nein, früher war nicht alles besser. Nur anders. Und lehrreich. Was man hoffentlich über die Corona-Krise dann auch mal sagen kann.)

Das Foto mit dem Eisblock übrigens von der Internet-Plattform pixabey und wurde von „moritz320“ dort eingestellt.

 

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