Hängematte für Weichensteller

Runter vom Gas

Gaaaaanz laaaangsaaaam  – nun, man muss sich ja nicht gleich in eine kriechende Schnecke verwandeln, aber ab und zu mal den Anker in vollem Lauf werfen ist vielleicht gar nicht so verkehrt. Wenn man das in jeder Hinsicht als Schwergewicht zu bezeichnende neue Buch von Frank Habermann und Karen Schmidt zur Hand nimmt macht man automatisch langsam. Allein schon das Format des Buchs und dessen Gewicht lassen eine „Zwischen-Tür-und-Angel-Betrachtung“ erst gar nicht reifen. Der Inhalt ist jetzt auch nicht gerade das, was man sich als Instant-Lektüre mal eben auf der Busfahrt von A nach B einverleiben könnte.

Es mag zwar harmlos wirken mit seinen niedlichen Figuren – ein Etwas, das aussieht wie ein in Perwoll geschleudertes Corona-Virus (wir arbeiten dran) mit einem Schraubenschlüssel in der Hand lockt grinsend in die Werkstatt. Klarer Fall und das steht auch auf dem Schild, das vom Rand des Covers in den Titel baumelt: Es ist ein Arbeitsbuch. Für lahme Enten? Ja, warum nicht, bisschen innehalten und gründeln ist nicht verkehrt, denn „Hey, nicht so schnell!“ ruft der Igel dem Hase zu und meint damit, dass der gute alte Spruch, die Binsenweisheit „gut Ding will Weile haben“ durchaus angebracht ist, um gute Entscheidungen fällen zu können. Leute, die ein Team „unter“ sich haben, wie es so schön heißt sind gemeint. Die werden zu Leuten, die ein Team neben, oder besser: um sich, haben. Eines, mit dem sie zusammen einen Weg gehen. Was absolut nichts mit dem wadenbeißenden Köter zu tun hat, der die Schafe in eine  Richtung treibt. Versteht sich. Ist ja auch „old school“ (aber in vielen Betrieben immer noch gebräuchlich, die versal geschriebene Hierarchie). Und weil wir in der Moderne sind weigern sich die beiden Autoren auch, die Leser zu Siezen. Hey du. Okay.

Haltet durch

Also gut. Wer sich bis hierher durch meine ewig lange Einleitung gelesen hat, der hat schon mal eine wichtige Voraussetzung für das Buch. Durchhaltevermögen. Biss. Und ganz sicher auch den Willen, gestalten zu wollen. „Wie du durch langsames Denken in komplexen Zeiten zu guten Entscheidungen gelangst“, so das Versprechen.

Dazu muss man aber erst mal seinem eigenen Denkapparat auf die Schliche kommen. Der ist nämlich so clever, dass wir es manchmal gar nicht merken. Glaub nicht alles, was du denkst lautet ein weiterer Titel eines Kapitels. Das Gehirn sortiert schnell aus, was es meint, nicht zu brauchen, und eigentlich können wir gar nichts dafür, dass unsere Aufmerksamkeitsspanne angeblich unter der eines Goldfisches liegen soll. Acht Sekunden, um genau zu sein. Und: Jeder nimmt etwas anderes wahr. Das im Hinterkopf zu behalten ist schon mal gut.

Also, es geht darum, wie wir denken, welche Sprache wir sprechen, welche Haltung wir einnehmen und wie man Perspektiven wechselt, Unsicherheiten vermisst, Brainstorming macht, Rollen und Aufgaben etwa in Workshops definiert. Immer das Ziel vor Augen, gemeinsame Sache zu machen.

Wer neue Aussichten genießen will muss hoch klettern

Man erkennt die „Heidenarbeit“, die der Professor für Betriebswirtschaft Frank Habermann und die Wirtschaftspädagogin Karen Schmidt in das Buch gesteckt haben, wie viel sie recherchierten, drehten, wendeten, um daraus ein 1. hübsch gestaltetes, 2. übersichtliches, 3. erkenntnisreiches Paket zu schnüren. Eine Mischung aus wissenschaftlichem Ansatz, Anleitung für Führungskräfte, Nachschlagewerk für alle, die sich bewusster an Entscheidungen herantasten wollen. Ohne Schweiß kein Preis. Wer es wissen will, der muss die Ärmel hochkrempeln. Lohnt sich. Irgendein Aha-Erlebnis hat man sicher. Oder man wird sich mancher Aktionen, die vielleicht auch eher unbewusst bisher abliefen mehr bewusst. Und: Ein Entscheider muss nicht immer eine ranghohe Person sein. Zitat. Das wissen wir eigentlich auch schon: Ein guter Chef motiviert seine Mitarbeiter, statt denselben (den Chef) raushängen zu lassen. Und eine gute Chefin tut das natürlich auch. Wenn ich Soloselbständige bin? Nun, dann sollte ich mein inneres Team vielleicht auch mal mit Hilfe dieses Buches am so genannten Runden Tisch versammeln, um „Fuck up Storytelling“ zu praktizieren. Wie cool. Hoch die Tassen. Eine Feier für die Fehler. Ein roter Teppich für die ganzen „Da ging was schief“-Aktionen. Und eins ist ja auch klar: Wo Schatten ist, da ist auch Licht. Wird einem bei der Gelegenheit auch mal bewusst.

Frank Habermann/Karen Schmidt „Hey, nicht so schnell“. Verlag Gabal. ISBN 978-3-96739-033-9, 29,90 Euro.

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