Man kauert mit ihr hinter dem Dornenbusch, man watet mit ihr gluckernd durch einen Brackwassertümpel, man späht mit ihr durch den Nebel, der sich in den Eichen und Kiefern verfängt, man spürt mit ihr der Stille zwischen den Palmettopalmen nach und genießt den bedächtigen Flügelschlag des Reihers, der die Haut zu streicheln scheint, man lässt sich auf die frech-aufmüpfigen Schreie der Möwen ein: Beim Lesen geht eine Verwandlung vor – man wird automatisch zu Kya. Zu Kya, dem Marschmädchen. Die Protagonistin der in Georgia geborenen Zoologin Delia Owens in ihrem Debütroman „Der Gesang der Flusskrebse“. Eines vorneweg: Flusskrebse können natürlich nicht singen. Aber man kann es sich einbilden und zwar dann, wenn man es dem Marschmädchen gleich tut – sich in die Natur begeben, sich ihr anvertrauen, mit ihr eins werden und – wie es die Autorin in einem Interview mit ihrem Verlag ausdrückt – den Planet und die Bäume sich bewegen spürt. Dann hört man auch die Flusskrebse singen.
Die Marsch wird für Kya zur Ersatzmutter. Die eigene ist davongelaufen, der Armut in der ärmlichen Hütte wohl auch und der Gewalttätigkeit des vom Krieg traumatisierenden, trinkenden Ehemannes. Auch die Geschwister machen sich davon, mit sechs Jahren lernt Kya, allein auf ihren Füßen zu stehen. Und der Vater bleibt eines Tages auch weg. Dass ein junger Mann, der ihr hinterher gestiegen ist, tot in der Marsch aufgefunden wird lässt das Marschmädchen irgendwann ins Visier der Ermittler geraten. Selten habe ich erlebt, dass einem eine Figur wie die des Marschmädchens so umgarnt, dass man tatsächlich mit Leib und Seele im Sumpf feststeckt – und nicht mehr weiterlesen will, weil man Angst vor dem Urteil des Gerichts hat.
Wer auch nur ein winzig-kleines Stückchen erkannt hat, wie die Natur wirkt, wie eng der Mensch trotz aller Modernität mit ihr verbunden ist, ja, dass wir alle Naturkinder sind, der wird dieses Buch lieben. Er wird es verschlingen. Denn eigentlich ist nicht Kya die Hauptfigur – sie ist lediglich diejenige, die uns zum Star des Buches führt – zur Marsch, zur Natur.
Delia Owens hat ihr Erstlingswerk mit Herzblut geschrieben. Das spürt man, auch wenn das Ende sich etwas zum Kitsch neigt.
Delia Owens: Der Gesang der Flusskrebse – 2019 hanserblau in Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München, IBSN 978-3-446-26419-9, 22 Euro