Baden im Shinrin

Wie ich mir eine dicke Rinde zulegte oder die Geschichte vom Wurzelnschlagen

Ich gebe es gern und umunwunden zu: Obwohl ich als typische Journalistin von Neugierde getrieben bin habe ich mich beim ersten Rundgang „Waldbaden“ mit Burchard Wedewer im Schömberger Wald schwer getan bei der Vorstellung, mich in einen Baum zu verwandeln. Damals hatte ich als Berichterstatterin noch die Möglichkeit, mich rauszureden. Ich musste ja Fotos machen… 🙂

Entscheidungen aus dem Bauch heraus sind nie falsch

Was mich nun dazu getrieben hat, selbst eine Wald-Gesundheitstrainerin und Kursleiterin Waldbaden zu werden? Gute Frage. Ich weiß nur, die Entscheidung kam aus dem Bauch. Die Entscheidung war richtig. Und sie ist ein Versuch, dem Corona-Alltag etwas entgegenzusetzen. Immer noch verdiene ich meine Brötchen hauptsächlich damit, im Gesundheitsamt Fragen zu dem Thema zu beantworten. Das kostet Kraft und man darf sich durchaus wundern, woher man noch die Kraft nimmt, überhaupt optimistisch zu sein.

Und das Thema Wald und Gesundheit ist auch ein Versuch, sich von der irrigen Annahme zu befreien, dass man auch als Freelancer (geschätzter) Teil eines Teams ist. Und sich erlaubt, so etwas wie Verlässlichkeit und gegenseitige Wertschätzung zu erwarten. Überhaupt Erwartungen zu hegen. Wenn die Pandemie eines gelehrt hat, dann: Selbst ist die Frau. Nichts bleibt, wie es ist. Alles ist im Fluss. Und: Wer in einer Sackgasse landet sollte umkehren oder zumindest gewohnte Wege verlassen, ausgefahrene Straßen meiden.

Also Waldbaden. Positiv denken. Positives vermitteln. Positives einatmen. Und wenn das tatsächlich etwas ist, was man am eigenen Leib und an der eigenen Seele als etwas Gutes empfunden hat: weitergehen, weitergeben. Jedenfalls ist das Thema bei mir aus heiterem Himmel aufgeploppt und da der Mann, über den ich vor einem Jahr geschrieben hatte auch ausbildet wende ich mich an Burchard Wedewer. Nicht ahnend, dass das nicht nur ein Spaziergang (durch den Wald) sein wird. Das ist auch gut so. Schließlich soll das Ganze auch Hand und Fuß haben.

Shinrin Yoku – Wald und Bad

Shinrin Yoku ist die Bezeichnung dafür und sie kommt aus dem Japanischen. Übersetzt bedeutet Shinrin Wald und Yoku Bad – frei übersetzt wird oft von „Baden in der Atmosphäre des Waldes“ gesprochen. In Japan hat man bereits vor 40 Jahren erkannt, dass unglaublich viele Menschen überarbeitet sind und daher sterben beziehungsweise ihrem Leben selbst ein Ende setzen. Ich mache es kurz: Nach wichtigen Erkenntnissen anhand von Studien sind inzwischen zehn Waldtherapie-Zentren in Japan eingerichtet worden. Aber eigentlich kennt man das Waldbaden aus China, wo es offenbar schon vor 2500 Jahren praktiziert wurde.

Kurz zusammengefasst liegt das (präventive) Heil darin, dass man zum einen zur Ruhe kommt, zum anderen sind es die von Pflanzen und vor allem Bäumen ausgesandten Duftstoffe, die das Immunsystem stärken und sogar Killerzellen zur munteren Vermehrung anregen. Hoppla. Da staunt man dann doch. Obwohl: Vor einigen Monaten bin ich mit einer meiner seltenen Migräne-Anfälle in den Wald gewankt. Ich wollte einfach nur noch raus und mich irgendwohin setzen. Zwei Stunden später bin ich wieder aufrecht aus dem Wald herausgekommen, wie neu geboren habe ich mich gefühlt. Also muss doch was dran sein…

Ich und ein großer Baum?

Bevor ich noch aus dem Staunen raus komme befinde ich mich zusammen mit Burchard Wedewer am Anfang eines Weges, der in der Glücksgemeinde Schömberg in den Wald führt. Ja, das klingt esoterisch, aber warum nicht: Wir begrüßen erst mal den Wald und bedanken uns für seine Gastfreundschaft. Der Bezug zur Natur lässt sich in der Tat besser herstellen, wenn man sich den Wald als Lebewesen vorstellt. Und etwas Respekt beziehungsweise Ehrfurcht vor der Natur (die uns das ja aus bekannten Gründen gerade mit der Holzhammermethode einbläut) ist ja durchaus auch angebracht. (Die Dankbarkeit angesichts all der Wunder kommt dann später.) Okay, dann noch gedanklich alle Sorgen und Nöte und den ganzen „fucking“ Alltag in einen Container zu packen und den Deckel zu schließen oder auch einen imaginären Sorgen-Rucksack abzustellen ist ja auch nicht verkehrt. Atemübungen und eine Schüttelübung, um auch noch den kleinsten Rest der geistigen Belastung loszuwerden, löschen sicher nicht alle Probleme. Aber man kann sie mal auf die Seite schieben und sich später wieder darum kümmern. (Es zeigt sich zudem, dass der so entleerte Kopf danach besser wieder in der Lage ist, den Faden aufzunehmen, ohne sich darin zu verwickeln.)

Durch Übungen ganz im Wald ankommen

Worin sich das Spazierengehen im Wald vom Waldbaden unterscheidet? Ganz einfach: Durch die achtsamen Übungen kommt man noch besser aus dem Alltagstrott heraus, das Gehirn muss sich mal mit ganz anderen Dingen beschäftigen und beim tiefen Einatmen in den Bauch (wobei das Zwerchfell auch noch massiert wird) nimmt man sicher noch viel mehr „gute“ Terpene (Duftstoffe) auf. Und wer schleicht wie eine Wildkatze – wofür man nicht auf alle Viere gehen muss – ist still, ist aufmerksam, schaut und hört und riecht genau hin. Und dann also die Verwandlung in einen Baum. Oh, ich kann mir das im Kontakt mit „meinem“ Baum richtig gut vorstellen, dass mir Wurzeln aus den Füßen wachsen, dass ich eine schützende Rinde bekomme und meine Äste gen Himmel streben. Fühlt sich gut an. Auf jeden Fall habe ich danach das Gefühl, etwas sicherer auf dem Boden zu stehen und mich insgesamt stärker zu fühlen. Man muss es einfach mal probiert haben. Was soll schon passieren? Eben. Nichts. Außer, dass ich es wohltuend empfinde, meine Vorstellungskraft zu stärken und meinem Gehirn mit dieser Abwechslung eine Freude zu machen. Also: auf in den Wald 🙂

Fotos: Susanne Roth (unter anderem zu sehen: mein Ausbilder Burchard Wedewer)

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